Dmi­tri Hvor­os­tovs­ky – 16.10.195222.10.2017

Es gibt ver­schie­de­ne Wege zur Unsterb­lich­keit. Man kann einen Kome­ten nach sich benen­nen, oder Men­schen emo­tio­nal mit sei­nen künst­le­ri­schen Fähig­kei­ten berüh­ren und damit für immer einen Platz in ihren Her­zen fin­den. Dmi­tri Hvor­os­tovs­ky ist das gelun­gen. Als Kos­mo­po­lit an den gro­ßen Opern­häu­sern die­ser Welt zu Hau­se, ist er sei­ner rus­si­schen Hei­mat treu geblie­ben. Und so betrau­ern Fans und Kol­le­gen rund um den Glo­bus den Mann mit der gro­ßen Stim­me, der viel zu früh, im Alter von 55 Jah­ren, an einem Hirn­tu­mor ver­stor­ben ist. Noch im Jah­re 2016 trat er zusam­men mit dem Alex­an­d­row Ensem­ble auf und sang das berühm­te Lied „Zhu­rav­li“ (Frenkel/Gamzatov). Ger­ne hät­ten wir ihn mit dem Alex­an­d­row Ensem­ble hier in Ber­lin zum Kon­zert begrüßt. Wir wer­den die­sen groß­ar­ti­gen Künst­ler in unse­rer Erin­ne­rung behal­ten.

Die Rus­sen kom­men!

Die Frank­fur­ter Kon­zert­agen­tur Lipp­mann + Rau hat Grö­ßen wie Jimi Hen­drix und die Rol­ling Stones nach Deutsch­land geholt. Im Jahr 1979 brach­ten sie das Alex­an­d­row Ensem­ble erst­mals auf die ande­re Sei­te des Eiser­nen Vor­hangs. Von März bis Mai gab es 27 Kon­zer­te in 24 Städ­ten (Ham­burg, Köln, Mün­chen, Saar­brü­cken, Frank­furt, Stutt­gart u.a.). Im 50. Jahr sei­nes Bestehens war die­se Tour­nee ein Mei­len­stein. Seiteher genießt das Ensem­ble in ganz Deutsch­land eine hohe künst­le­ri­sche Akzep­tanz beim kul­tu­rell inter­es­sier­ten Publi­kum. In der 46. Fol­ge von Rudi Carells „Am lau­fen­den Band“ prä­sen­tier­te sich das Künst­ler­kol­lek­tiv zudem mit einem kraft­vol­len, gut gelaun­ten Fern­seh­auf­tritt.


Tele­gramm von der Polar­sta­ti­on

Am 21. Mai 1937 brach­te ein Flug­zeug Iwan Papa­nin (Polar­for­scher), Jew­ge­ni Fjo­do­row (Meteo­ro­lo­ge), Pjotr Schirschow (Ozea­no­lo­ge) und Ernst Kren­kel (Fun­ker) in den nörd­li­chen Polar­raum. Auf einer gro­ßen Eis­schol­le errich­te­ten sie die For­schungs­sta­ti­on »Nord­pol 1«. In 274 Tagen drif­te­ten sie über 2.500 km in die Grön­land­see. Die­se Expe­di­ti­on, die ers­te ihrer Art, war ein wis­sen­schaft­li­ches Pres­ti­ge­pro­jekt der Sowjet­uni­on und wur­de auch von der inter­na­tio­na­len Pres­se mit Span­nung ver­folgt. Eine Aus­stel­lungs­ver­si­on von Papa­nins Drift­eis­sta­ti­on wur­de zur glei­chen Zeit in Frank­reich auf der Welt­aus­stel­lung prä­sen­tiert. Per Funk­te­le­gramm sen­de­ten die For­scher im Sep­tem­ber 1937 einen per­sön­li­chen Gruß nach Paris: »Nord­pol­sta­ti­on +++ Wir lie­gen in unse­ren Schlaf­sä­cken und hören im Radio das Kon­zert des Rot­ban­ner Ensem­bles in Paris. Wir sind über­glück­lich, ers­tens, weil wir die­se uns so lie­ben Klän­ge hören und sel­ber mit­sin­gen, und zwei­tens, weil wir die Begeis­te­rung des Publi­kums hören, erin­nern wir uns an die sen­sa­tio­nel­len Erfol­ge des Rot­ban­ner Ensem­bles. Wir hör­ten am Nord­pol den Applaus in Paris, die Rufe ‚Bra­vo!‘ und ‚Zuga­be!‘. Der enthu­si­as­ti­sche Emp­fang war wohl­ver­dient. Das Ensem­ble war glanz­voll in der Dar­bie­tung sei­ner bes­ten Lie­der. Ihr nörd­lichs­tes Publi­kum sen­det herz­li­che Grü­ße an das Ensem­ble und sei­nen Lei­ter, Genos­se Alex­an­d­row. Wir wün­schen Ihnen wei­ter­hin viel Erfolg bei der Demons­tra­ti­on unse­rer sowje­ti­schen Kunst.«

Hin­ter den Kulis­sen

Uni­for­men ver­mit­teln ein stren­ges Bild und ver­ra­ten wenig über die Men­schen, die in ihnen ste­cken. Einen lie­be­vol­len Blick hin­ter die Kulis­sen erlaub­te 2013 der pol­ni­sche Kanal Pol­s­ka Zbron­ja wäh­rend einer Gast­spiel­rei­se durch meh­re­re pol­ni­sche Städ­te. Zu sehen bekom­men wir jun­ge Män­ner in Jeans – Sän­ger mit freund­li­chen, zufrie­de­nen Gesich­tern bei der Pro­be, Tän­zer in Trai­nings­klei­dung, Tech­ni­ker beim Sound­check – Büh­nen­all­tag, wie er sich von ande­ren kaum unter­schei­det. Erst durch Uni­for­men und Kos­tü­me ent­steht das unver­wech­sel­ba­re Erschei­nungs­bild des Ensem­bles. Auf der Büh­ne ver­schmel­zen die Ein­zel­per­so­nen zu einem orga­ni­schen kol­lek­ti­ven Gan­zen. Hin­weis: Ab dem 21. Novem­ber 2017 ist das Alexandrow-Ensemble in Polen auf Tour­nee.

God save the Queen

Es ist gute Tra­di­ti­on, dass das Ensem­ble auf Rei­sen ein jedes Kon­zert mit zwei Natio­nal­hym­nen beginnt – der des Gast­lan­des, gefolgt von der eige­nen. So war es auch bei der ers­ten »Lon­don Inva­si­on«, 1956, in der Empress Hall. »Der groß­ar­ti­ge Sol­da­ten­chor sang sich in die Her­zen des bri­ti­schen Publi­kums. Dies war ein voll­stän­di­ger und unblu­ti­ger Sieg der Roten Armee. Und bei all dem waren die Tän­zer die Haupt­at­trak­ti­on, denn sie voll­führ­ten ihre Sprün­ge und Dre­hun­gen gegen alle Geset­ze des Gleich­ge­wichts und der Schwer­kraft.« (Dai­ly Sketch). Bei wei­te­ren UK-Tourneen 1963 und 1989 fol­gen Gast­spie­le in der Lon­do­ner Roy­al Albert Hall, die auch auf Lang­spiel­plat­ten doku­men­tiert wer­den.

Treue Freun­de

»Ich lass mir auch heu­te nicht sagen, wen ich mögen darf und wen nicht!« Wer so zu sei­nen Freun­den steht, gilt als wahr­haft treue See­le und steht zugleich auch zu sich selbst. Trotz poli­ti­scher Wider­stän­de und oppor­tu­nis­ti­schem Anpas­sungs­druck ver­bin­det Karel Gott eine lang­jäh­ri­ge Freund­schaft mit dem Alexandrow-Ensemble. Er ist der ein­zi­ge aus­län­di­sche Künst­ler, der bis­lang die Alexandrow-Medaille ver­lie­hen bekam. Im Jahr 2013, zum 85. Jubi­lä­um in Mos­kau, kam er als musi­ka­li­scher Gra­tu­lant auf die Büh­ne. Wäh­rend sei­ner schwe­ren Erkran­kung wirk­ten die ermun­tern­den Wor­te sei­ner Ensemble-Freunde wie heil­sa­me Medi­zin: »Karel, wir lie­ben dich. Du hast ver­spro­chen bei unse­rem 90. Jubi­lä­um in Mos­kau dabei zu sein. Wer­de gesund! Du schaffst das! Wir sind an dei­ner Sei­te!«

Säbel­tanz in Prag

Im Anschluss an das Gast­spiel wäh­rend der Welt­aus­stel­lung in Paris gab das Alex­an­d­row Ensem­ble ab dem 28. Sep­tem­ber 1937 acht Kon­zer­te in der Sme­ta­na Hal­le in Prag und zwei Mati­nées für tsche­chi­sche Sol­da­ten der Pra­ger Gar­ni­son. Im Rah­men eines gro­ßen Tref­fens suden­ten­deut­scher Anti­fa­schis­ten in Usti nad Labem (Aus­sig) begrüß­te der sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Bür­ger­meis­ter Leo­pold Pölzl die sowje­ti­schen Künst­ler am 1. Okto­ber 1937 in der größ­ten Sport­hal­le der Stadt. Die deutsch­na­tio­na­le Pres­se war außer sich. Mehr als 5.000 Zuschau­er waren begeis­tert. Nach dem Krieg kam das Ensem­ble 1946 wie­der nach Prag. 1948 folg­te eine ers­te Tour­nee durch die Tsche­cho­slo­va­kei. Gast­spiel­rei­sen in die CSSR stan­den fort­an regel­mä­ßig auf dem Pro­gramm. In der Tsche­chi­schen Repu­blik hat das Alex­an­d­row Ensem­ble bis heu­te einen gro­ßen Klang. Zuletzt war es im Som­mer 2017 zu Gast.

Palais des Sports – Paris

Im März und April 1960 gas­tier­te das Alex­an­d­row Ensem­ble im gera­de neu eröff­ne­ten futu­ris­ti­schen Palais des Sports in Paris. Für die Fran­zo­sen ist dies heu­te ein mytho­lo­gi­scher Ort der Musik­ge­schich­te – The Beat­les, Rol­ling Stones, John­ny Hal­ly­day, Pink Floyd, Queen – sie alle hat­ten dort ihren gro­ßen Auf­tritt. 1963/64, 1967, 1974/75 – das Alex­an­d­row Ensem­ble wur­de immer wie­der im Palais des Sports gefei­ert und begeis­ter­te mit Gesang und Tanz. Eini­ge der Kon­zer­te sind auf Schall­plat­ten doku­men­tiert. »Les Choeurs de l’armée Sovié­tique a Paris« wur­de ver­gol­det und gewann in Frank­reich den »Grand Prix Natio­nal du Dis­que« des Jah­res 1961.

Immer für eine Über­ra­schung gut

Das Bal­lett des Alexandrow-Ensembles ist bekannt für Tanz­sze­nen, bei denen man geneigt ist, den Atem anzu­hal­ten. Die Geset­ze der Schwer­kraft schei­nen für die­se Tän­ze­rin­nen und Tän­zer nicht zu gel­ten. Für beson­de­re Über­ra­schungs­mo­men­te sor­gen sie jedoch auch mit Tanz­ein­la­gen, die völ­lig uner­war­tet aus der Rol­le fal­len. Bei ihrem Gast­piel in Tsche­chi­en waren die Zuschau­er kom­plett aus dem Häus­chen, als zum Karel Gott- Klas­si­ker „Lady Car­ne­val“ das Bal­lett mit bun­ten Samba-Kostümen und einer begeis­tern­den Cho­reo­gra­phie die Büh­ne stürm­te – Lebens­freu­de pur!

Will­kom­men in Ber­lin

Ein his­to­ri­sches Film­do­ku­ment aus dem Archiv von Michail Kha­ri­to­nov zeigt das Alex­an­d­row Ensem­ble bei ver­schie­de­nen Gast­spie­le in Ber­lin. Beson­ders anrüh­rend sind die Aus­schnit­te aus dem Jahr 1948. Sie ver­mit­teln einen leben­di­gen Ein­druck von der mit­rei­ßen­den Atmo­sphä­re inmit­ten der Rui­nen auf dem Gen­dar­me­markt. In kur­zen Inter­view­se­quen­zen aus spä­te­ren Jah­ren schil­dert Boris Alex­an­d­row sei­ne per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen.